Geborgen in Kontrolle

1. Einleitung

Ich schreibe diese Zeilen, weil ich verstehen will – mich selbst, meine Sehnsüchte, meine Widersprüche. Weil Keuschhaltung für mich nicht nur ein Spiel ist, sondern eine Sprache, in der meine tiefsten Emotionen sprechen. Ich nenne es ein Manifest meiner Keuschheit, weil es kein zögerliches Fragen mehr sein soll, sondern ein klares Bekenntnis. Ein Ausdruck dessen, was in mir lebt – ehrlich, roh und ohne Ausflüchte. Es ist keine Anleitung. Es ist keine Liste von Regeln, kein Katalog von Erwartungen. Es ist der Versuch, etwas in Worte zu fassen, das tief in mir lebt – roh, ungeschönt, voller Sehnsucht und Widersprüche.

Keuschhaltung ist für mich weit mehr als Verzicht. Sie ist nicht nur Kontrolle oder Disziplin. Sie ist der Spiegel meiner Emotionen, meiner tiefsten Unsicherheiten und Sehnsüchte. Sie ist eine Sprache, die nicht jeder versteht, aber die ich spreche – manchmal flüssig, manchmal stammelnd.

Sie ist Ausdruck meines Verlangens nach Halt, nach Geborgenheit, nach einem Gegenüber, das mich sieht und doch führt. Ich schreibe dies nicht, um eine perfekte Antwort zu geben. Ich schreibe es, um zu reflektieren. Um zu verstehen – mich selbst, meine Fantasien, meine Bedürfnisse. Und vielleicht auch, um verstanden zu werden.


Dieses Manifest war schmerzhaft zu schreiben. Aber es steckt auch Hoffnung darin. Hoffnung darauf, dass Verlangen und Emotionen nicht nur ein innerer Sturm sind, sondern etwas, das geteilt, angenommen und gestaltet werden kann.

2. Wer ich bin

Ich bin ein emotionaler Mensch. In mir lebt eine Tiefe, die ich nicht immer zeigen kann – nicht in der Öffentlichkeit, nicht im Alltag, manchmal nicht einmal mir selbst. Ich habe gelernt, mich zu kontrollieren. Ich bin ein Mensch, der funktionieren kann. Und doch: Unter dieser Oberfläche brodelt es.

Da ist Einsamkeit. Ich sehne mich nach Nähe, nach Zuwendung, nach dem Gefühl, dass jemand wirklich bei mir ist.

Da ist Unsicherheit. Ich möchte mich anlehnen können. Ich will geführt werden, nicht weil ich schwach bin, sondern weil ich in dieser Führung Halt finde.

Da ist Scham – über einen Teil von mir, den ich lange nicht verstanden habe. Die Masturbation war oft kein Akt der Lust, sondern ein Mittel gegen innere Leere, gegen Stress, gegen Angst. Sie war kein Genuss, sondern ein Zwang. Ich möchte lernen, dass Sexualität wieder etwas Schönes, etwas Verbundenes wird. Ich wünsche mir Wertschätzung. Ich möchte gewollt werden, wirklich gesehen. Nicht nur als Körper, sondern als ganzer Mensch, mit meinem Verlangen, meiner Verletzlichkeit, meiner Fantasie. Ich wünsche mir, dass meine Partnerin mich spürt – mich sexuell sieht, mich aktiv begehrt, sich mit mir einlässt auf diesen Weg.


Ich bin kreativ – und meine Fantasien sind Ausdruck dieser Kraft. Ja, sie sind extrem. Sie handeln von Dominanz, Strenge, Schlägen, Ausgeliefertsein, Schmerz. Sie handeln davon, aufgelöst zu werden, vernichtet zu werden – nicht weil ich mich selbst verachte, sondern weil ich mich danach sehne, endlich nicht mehr alles selbst tragen zu müssen.

Diese Fantasien sind kein Irrtum. Sie sind nicht krank. Sie sind ehrlich. Sie wollen einen Raum. Einen Spielplatz. Einen sicheren Ort unter Erwachsenen, in dem Macht ausprobiert werden darf. In dem ich loslassen darf, ohne Schaden zu nehmen. In dem ich Schmerz fühlen darf, um Heilungzu spüren. In dem ich meiner Fantasie einen Kanal geben darf, um meiner Seele Luft zu machen.


In meiner Fantasie bin ich machtlos – aber nicht verloren.

Ich werde entmachtet – aber nicht vernichtet.

Ich werde bestraft – aber nicht verachtet.

Ich werde gesehen – und gehalten.


Was zurückbleibt, ist ein inneres Kind. Traurig. Beschämt. Ängstlich. Bedürftig. Dieses Kind braucht Sicherheit. Es braucht jemanden, der bleibt. Jemanden, der sagt: „Ich seh dich. Du darfst so sein. Ich bleib da.“

Ich habe gelernt, dass ich kein Kapitän bin. Aber ich bin ein guter Erster Offizier. Ich kann Verantwortung übernehmen, wenn ich weiß, wohin das Schiff fährt. Ich brauche eine Führung, die beständig ist. Nicht unfehlbar, aber da. Auch wenn’s schwer wird. Gerade dann.


Ich wünsche mir Geborgenheit. Und ich glaube: Die Keuschhaltung – in Liebe, in Führung, in Verbindung – kann ein Ritual sein, in dem all das zusammenkommt. Ein Ort, an dem ich lernen darf, mich selbst zu halten – weil jemand anderes mich hält.

3. Der innere Konflikt und die Wahrheit im Schatten

Ich trage Fantasien in mir, die intensiv, roh, manchmal erschreckend sind. Sie kreisen um Macht, um Kontrolle, um das Verlorengehen in Strenge, in Schmerz, in völliger Hingabe. In ihnen liegt der Wunsch, dass etwas mich auflöst, dass jemand so streng, so unerbittlich ist, dass mein Wille zerbricht und mein Ich, das sich so oft selbst im Weg steht, für einen Moment verschwindet. Diese Fantasien sind nicht krank. Sie sind nicht falsch. Sie sind Ausdruck meiner tiefsten Kreativität, meiner Verletzlichkeit, meiner Sehnsucht nach Erlösung.

Ich habe gelernt, zu funktionieren. Ich habe gelernt, Erwartungen zu erfüllen, mich zu kontrollieren, zu deckeln, zu zensieren.

Doch in diesen Schattenregungen meiner Seele spricht ein Teil, der nie lügen kann: Das innere Kind, das gelitten hat. Das sich klein, ängstlich, beschämt und falsch gefühlt hat. Und dieses Kind, das einst nicht gehört wurde, spricht in Bildern: Von Keuschhaltung, von Schlägen, von Demütigung – nicht, weil es bestraft werden will, sondern weil es gesehen werden will. Weil es sich wünscht, dass jemand da ist, der stark genug ist, seine Ohnmacht mit ihm auszuhalten.


In diesen Bildern steckt nicht Gewalt – sondern der Wunsch nach Geborgenheit hinter jeder Grenze, nach Sicherheit im Kontrollverlust, nach Annahme durch absolute Führung. Ein Raum, in dem ich die Kontrolle abgeben darf, nicht, weil ich schwach bin, sondern weil ich stark genug bin, mich selbst ganz ehrlich zu spüren. Und so wird Keuschhaltung für mich nicht nur ein Spiel – sie wird zu einem Ritual der Wiederbegegnung mit mir selbst. Zu einem Raum, in dem Fantasie zur Sprache wird und Heilung durch Akzeptanz beginnt.

4. Fantasie als Sprache der Emotionen

Ich habe gelernt, dass meine Fantasien keine Ablenkung sind. Sie sind keine Krankheit, keine Schwäche und kein Fehler in meinem System. Sie sind die Sprache meines Inneren – Bilder, die Gefühle tragen, für die ich keine Worte hatte. Meine Fantasie spricht in Symbolen, wo mein Herz nur schweigen konnte.

In mir leben Bilder von extremer Unterwerfung, von Strenge, Schmerz und Auslöschung. Ich erschrecke manchmal selbst davor. Aber ich sehe heute: Diese Bilder sind nicht böse. Sie sind ehrlich. Sie zeigen mir, wie tief meine Sehnsucht geht – nach Halt, nach Auflösung von Druck, nach dem Ende von Kontrolle. Sie wollen sagen: „Ich bin müde vom Funktionieren. Ich will einfach nur sein. Ich will nicht entscheiden. Ich will gehalten werden.“

Diese Fantasien entspringen meiner Kreativität. Sie sind wie Gedichte, die meine Seele schreibt, wenn sie nicht weiterweiß. Ich wünsche mir, dass sie verstanden werden – nicht analysiert, nicht abgewertet. Ich wünsche mir, dass jemand sie mit mir teilt. Dass meine Partnerin nicht nur zuhört, sondern antwortet – in der gleichen Sprache.
Dass sie mir ein Symbol schenkt, ein Bild, eine Handlung, die mir zeigt: „Ich habe dich verstanden.“

Und wenn ich mich verstanden fühle – nicht nur rational, sondern bildlich, emotional, körperlich – dann kann ich übersetzen. Dann kann ich loslassen. Dann wird aus der Fantasie ein Gefühl. Dann kann ich mich selbst berühren, ohne mich zu verlieren. Dann wird aus meiner dunklen Sehnsucht ein Ort der Heilung. Ich glaube, dass Sexualität ein sicherer Spielplatz für Erwachsene sein kann.
Ein Ort, an dem wir nicht perfekt sein müssen.
Ein Ort, an dem Fantasie und Realität einander die Hand reichen.
Ein Ort, an dem ich meine Scham nicht verstecken muss – sondern ihr einen Namen geben kann.
Ein Ort, an dem ich erlöst werde – nicht durch einen Orgasmus, sondern durch das Gefühl, angenommen zu sein in allem, was ich bin.

Meine Vision ist eine Beziehung, in der Bilder nicht zensiert werden, sondern gedeutet. In der Fantasie nicht für den Akt da ist, sondern für die Seele. In der meine tiefsten inneren Bewegungen gesehen, beantwortet – und damit beruhigt werden.
Das ist Keuschhaltung für mich: Ein Kanal. Eine Sprache. Eine Einladung zum Fühlen. Und am Ende ein Weg zu mir selbst.

5. Der gemeinsame Raum

Keuschhaltung ist für mich nicht nur ein persönlicher Prozess. Es ist ein Beziehungsraum. Ein Raum, in dem ich mich zeigen kann – mit meinen Widersprüchen, meiner Verletzlichkeit, meinen Sehnsüchten. Und in dem ich sehen darf: Da ist jemand, der bleibt.

Ich will, dass dieser Raum erfüllt ist von Kontrolle, Regeln, Ritualen – und auch von Bestrafung. Ich wünsche mir Konsequenz, Strenge, klare Grenzen. Ich will wissen, dass du diesen Raum gestaltest, dass du ihn ernst nimmst. Dass du die Verantwortung übernimmst, wenn ich schwanke. Dass du mich schützt – auch vor mir selbst.

Aber dieser Raum soll nicht nur aus Disziplin bestehen.

Ich sehne mich danach, dass er durchdrungen ist von Verbindung. Von Berührbarkeit, Fürsorge, Echtheit. Dass du nicht nur meine Fantasien kennst, sondern meine Gefühle dahinter erkennst.

Dass du sie mit mir hältst, ohne dich davon bedroht zu fühlen. Dass du meine inneren Bilder nicht ablehnst, sondern als Sprache verstehst – als Versuch, etwas Unaussprechliches zu zeigen.

Und ich wünsche mir, dass du mir hilfst, diese Bilder zu übersetzen. Dass wir gemeinsam einen Weg finden, der Raum lässt für Spiel, für Hingabe, für Lust – aber auch für die Tiefe. Für das, was weh tut. Für das, was in mir ruft und keinen Ort hatte, bis du ihn geschaffen hast.

Keuschhaltung wird dann zu etwas Größerem: einem geschützten Ritualraum, in dem ich wachsen kann. In dem ich weich werden darf. In dem du führst – und ich mich nicht verlieren muss, sondern gefunden werde.

Vielleicht ist das der intimste Ort, den wir erschaffen können. Und der mutigste.

6. Die Führende

Wenn ich mich dir keusch zeige, dann ist das kein Verzicht – es ist Vertrauen. Ich übergebe dir etwas, das tief mit meiner Identität verknüpft ist. Meine Lust, meine Kontrolle, meine Scham, meine Unsicherheit. Nicht, weil ich schwach bin. Sondern weil ich dich stark genug sehe, das zu halten.

Ich wünsche mir, dass du führst. Nicht immer mit der perfekten Antwort. Nicht immer mit einem klaren Plan. Sondern mit Haltung. Mit Entscheidung. Mit der Bereitschaft, Raum zu halten – auch wenn du mich nicht ganz verstehst.

Du sollst nicht meine Therapeutin sein. Und ich will nicht dein Projekt sein. Aber ich wünsche mir, dass du mich als Mensch ernst nimmst, mit all den Schichten, die in mir wohnen. Dass du die Verantwortung übernimmst, wenn ich mich verliere. Dass du Grenzen ziehst, wenn ich mich überschlage. Dass du präsent bleibst, wenn meine Welt schwankt.

Führung bedeutet für mich nicht Kontrolle um ihrer selbst willen. Sondern: Sicherheit. Ein Gerüst, das mich auffängt. Ein Blick, der mich wieder zusammensetzt. Und manchmal bedeutet Führung auch: Mich aushalten. Mich anschauen. Mich nicht retten müssen – aber da sein.

Ich sehne mich danach,

dass du die Führende bist. Nicht immer die Antwort – aber immer die Richtung.

Dass du mir Orientierung gibst, wenn ich zu tief in meinen inneren Nebeln verschwinde.

Dass du Entscheidungen triffst, wenn ich alles infrage stelle.

Dass du mich erinnerst, wer ich bin – wenn ich es vergesse.


Ich will nicht nur geführt werden. Ich will dir folgen. Weil ich in deiner Führung nicht meine Unterwerfung, sondern meine Erlösung spüre. Weil ich darin das sehe, was ich mir selbst nie geben konnte: Halt. Und Geborgenheit. Und vielleicht eines Tages auch Heilung.

7. Der Wunsch, zu führen - und das Loslassen. Warum ich keine Regeln aufstelle, obwohl ich es möchte.

Ich würde gerne neue Regeln aufsetzen. Ich habe Ideen. Viele sogar. Ich habe Szenarien im Kopf, Listen von Ritualen, von Strafen, von Worten, die ich hören will. Ich habe Vorstellungen, wie du mich lenken sollst. Und wenn ich ehrlich bin: Ich habe oft den Impuls, alles zu steuern – sogar meine eigene Unterwerfung.

Denn Kontrolle fühlt sich sicher an. Sie macht das Unbekannte planbar. Sie gibt mir das Gefühl, nicht völlig ausgeliefert zu sein. Und vielleicht gibt sie mir das trügerische Gefühl, dich führen zu können, obwohl ich doch geführt werden will. Aber… ich halte mich zurück.

Nicht, weil ich keine Fantasien habe. Nicht, weil ich nicht insgeheim hoffe, dass manches davon wahr wird. Sondern weil ich etwas Tieferes will: Dass du nicht meinen Drehbuchzeilen folgst, sondern deiner eigenen Regie.

Ich will,

dass du siehst, was ich dir nicht zeige.
Dass du führst, ohne dass ich dich ständig daran erinnere.
Dass ich nicht immer etwas dafür tun muss, dass du mich willst.
Dass ich nicht alles vorbereiten muss, um spüren zu dürfen.

Ich will nicht der Konstrukteur meiner eigenen Kontrolle sein.
Ich will nicht betteln, nicht verhandeln.
Ich will loslassen – auch wenn es schwer ist. Auch wenn es brennt.

Denn darin liegt die eigentliche Hingabe: Nicht im Befolgen von Regeln, die ich selbst geschrieben habe. Sondern im Vertrauen darauf, dass du, wenn du es willst, deinen eigenen Weg findest.
Dass du wählst, aus dir heraus. Nicht für mich – sondern mit mir.

Und vielleicht ist genau das die tiefste Form von Macht, die ich dir geben kann. Indem ich sie nicht mehr an mich reiße.

8. Nachwort

Dieses Manifest war schwer zu schreiben. Es hat mich mit jeder Zeile herausgefordert, mich mit mir selbst konfrontiert, mir meine Sehnsüchte, Ängste und Hoffnungen schonungslos vor Augen geführt. Es ist keine theoretische Abhandlung, kein distanzierter Blick auf ein Konzept. Es ist ein Teil von mir – roh, offen und verletzlich.

Es tut weh, sich so tief mit den eigenen Wünschen auseinanderzusetzen. Mit der Frage, warum bestimmte Fantasien so intensiv sind. Mit der Erkenntnis, dass das, wonach ich mich sehne, oft ein Spiegel meiner Unsicherheiten ist. Mit der Wahrheit, dass Keuschhaltung für mich nicht nur Spiel ist, sondern auch Heilung – ein Weg, mich in meiner Bedürftigkeit zu zeigen, ohne sie verstecken zu müssen.

Aber in all dem steckt auch Hoffnung. Hoffnung darauf, dass diese Worte nicht nur Ausdruck eines inneren Kampfes sind, sondern auch eine Brücke. Eine Brücke zu einem tieferen Verständnis – für mich selbst, für meine Partnerin, für uns gemeinsam. Hoffnung darauf, dass das, was ich hier geschrieben habe, nicht nur ein Ruf ins Leere bleibt, sondern etwas, das gesehen, gefühlt und vielleicht sogar geteilt werden kann.

Am Ende bleibt dieses Manifest unvollständig, weil es kein Ende gibt. Weil es ein Prozess ist, ein Weg, den ich gehe. Und weil ich nicht weiß, wohin er mich führen wird. Aber ich weiß, dass ich ihn nicht allein gehen muss.